Es war ein Gedanke, der mir in den Sinn kam, als ich letzte Woche von den Panama Papers hörte: Das Unrecht, das wir sehen, geht von Leuten aus, die bereit sind, buchstäblich über Leichen zu gehen, um ihren Reichtum und ihre Macht zu sichern. Und es sind dies nicht wenige an der Zahl.
Ebenso kamen mir all jene in den Sinn, die ich das ganze letzte Jahr getroffen habe und die vor Krieg geflüchtet sind. Menschen, deren Zuhause zerbombt wurde und die mit weniger als nichts zu uns gekommen sind. Familien mit Kindern, die aus Not ihr Land verlassen mussten. Mir fallen all die herzzerreißenden Geschichten ein, die ich letztes Jahr gehört oder gelesen habe und die süßen Augen des kleinen Tariq, ein Baby, das nun in Sicherheit ist, während andere seines Alters in Lagern frieren müssen, weil man ihnen die Schuld dafür gibt, dass sie flüchten mussten.
Doch es sind andere, die dies zu verantworten haben. Andere, die Schuld sind. Kriege, Waffen, Drogenhandel, Menschenschmuggel, herbeigeführte Armut und Hunger. Elfjährige Mädchen die, verkauft und jeden Tag aufs Neue von erwachsenen Männern, zurechnungsfähigen Männern, vergewaltigt und emotional zerstört werden. Wir lesen „die Panama Papers haben etwas Skandalöses aufgedeckt!“
Doch welche furchtbare Tragweite dahinter steckt, können wir uns nicht einmal vorstellen. Fast zynisch wirkt dann der Satz, man habe diese schmutzigen Geschäfte aufgedeckt. Gar nichts wurde aufgedeckt. Fragt die Mutter, die sah, wie man ihre drei Kinder vor ihren Augen erschossen hat. Dieser Schmerz passt auf keine Titelseite.
Das Einzige, das dieser Vorfall gezeigt hat ist, dass in dieser Welt das Recht des Stärkeren gilt. Oder besser gesagt: Das Unrecht des Stärkeren. Jener „Stärkeren“ die sich einfach alles nehmen, was ihnen beliebt. Denn offenbar sind es nicht wenige Menschen, die bereit sind, in ihrer Gier über andere herzufallen und anderen alles zu nehmen, was sie besitzen. Ihr Land, ihre Sicherheit, ihre Würde, ihr Leben.
Dabei glauben sie wohl, dass das ihren Reichtum mehren würde. Das wirklich Erschreckende an der ganzen Sache ist, dass ganze Gesellschaftssysteme dieses Unrecht stützen. Das zeigt diese „Enthüllung“ dann letztlich gut: Ausbeutung wird in Kauf genommen damit die niederen Begierden all jener zufriedengestellt werden, die das Leid anderer, das sie verursachen, nicht kümmert.
Als Muslim/in sollte man hingegen eine andere Form von wahrem Reichtum zu würdigen wissen, mit der man gleichzeitig dem schreienden Unrecht in der Welt begegnen kann, ohne daran zu verzweifeln oder in Gleichgültigkeit zu verfallen.
Dazu gehört nicht nur Solidarität mit Betroffenen sondern auch die Lobpreisungen. Lobpreisungen, die uns gelehrt und nahegelegt wurden.
Ich spreche von den Bestätigungen, die wir jeden Tag im Gebet in rezitierter Form tätigen. Jene Bekräftigungen, die davon sprechen, dass Er der einzig wahre Inhaber von Macht und Reichtum ist. Er, Der uns dieses Leben und alles, was uns lieb und teuer darin ist, aus Seiner Gnade heraus ermöglichte. Er, Der allgegenwärtig und sehend ist. Es ist das Zeugnis, dass Er der Einzige ist, der gänzlich erhaben und frei von jeglichen Fehlern – geschweige denn Niedertracht! – ist, dem diese Verneigungen, die wir darin tätigen, gebühren.
Sich vor dem Schöpfer aller Welten zu beugen, bedeutet, Ihn als den einzigen Inhaber aller Ehre und Majestät zu bestätigen. Nicht jedoch sie, denen Macht gegeben wurde und die meinen, dass sie sich selbst erheben können. Ihnen und ihrem Wort, gilt es, sich niemals zu beugen. Denn die Wahrheit kümmert sie nicht und sie agieren so als ob sie zu allem die Ermächtigung hätten. Als ob sie die Erlaubnis bekommen hätten, alles tun zu können und als ob es andere einfach so hinnehmen müssten. Jene, die auf andere, die sie in Schwäche erblickten oder deren Schwäche sie verursachten, mit Hohn herabsahen, sie erniedrigten und ihnen Leid zufügten.
Überdenke also die Bewegungen deines Salah. (Gebet – das Wort kommt von „Sich auf den Weg begeben“) Denn dein Sujud, die Verneigung in tiefster Demut, sagt mehr über das vorhandene Kräfteverhältnis in der Welt aus, als den meisten klar sein mag.
Es sind Bewegungen, die ausdrücken, dass man als Mensch um seine Schwächen und Angreifbarkeiten weiß. Ebenso um die Abhängigkeit zu Dem, an Den diese Verneigung gerichtet ist. Allah als den Inhaber aller Herrschaft zu bestätigen, bedeutet dann nämlich noch etwas weitaus Gewichtigeres:
Es ist die tiefe Ergebung und das Wissen um den Tag, an dem wir alle zu Ihm zurückgebracht werden. Das Wissen, dass nichts, nicht einmal das Unrecht in der Welt, sinnlos und ohne Seine Kenntnis darüber, abgelaufen sein wird. All das spiegelt sich in der al Fatiha wieder, die wir rezitieren. Al Fatiha, die Eröffnende. Sie eröffnet den Aufrichtigen den Weg zu Allahs besonderen Gnaden. Eine diese Gnaden ist es, Seine Präsenz und Sein Wirken, deutlicher wahrzunehmen. Und genau deswegen brauchen wir diese Gebete.
Wenngleich unser Herr dieser Bewegungen, die wir ausführen, nicht bedarf, bedürfen wir ihrer umso mehr. Denn dadurch tragen wir in gewisser Weise eine Form des Wissens mit uns herum, die nur deutlich wird, wenn man die bedeutendste aller Fragen stellt: „Warum?“
Warum beten wir? Warum sollen wir uns Gott in dieser Form zuwenden? Die Antworten darauf erschließen sich in den Lobpreisungen und der Bedeutung der Suren, die rezitiert werden, die wenn man genau hinsieht, uns in anderer Form im Alltag begegnen. Nämlich dort, wo sich der Zufall enttarnt und diese Worte deutlich werden.
Das Gebet dient dazu, dieses Wissen mit seinem Geist, seinem Herzen und jeder Bewegung, tief zu verinnerlichen. Das Wissen um Seine Majestät und Gnade, Der uns Seine Annahme gewährte, uns Vergebung und sichere Zuflucht versprach. Der uns beruhigte, in dem Er uns Seine Namen lehrte. Ghafur ur Rahim – Der stets und unablässig Vergebende, der gänzlich Barmherzige. Allah, der Seine Geschöpfe so gut kennt, dass er die Lobpreisungen, die Er in die Welt als Heilung hineinsetze, gemäß ihren innersten und tiefsten Bedürfnissen formulierte.
Assalamu alaikum wa RahmatuLLAH – Möge der Friede deines Herrn auf euch sein und Seine Gnade! Der Friedensgruß am Schluss des Gebetes und die Art, wie du andere im Alltag grüßen sollst. Denn jeden Tag sollst du wissen, dass der Frieden von Ihm kommt und ihr hier seid, diesen Frieden zu wollen.
Denn in der Tat, das Unrecht und das Leid wurden als Möglichkeit vorgesehen in diesem Leben. Er jedoch ließ uns nicht damit alleine, überließ uns nicht den Unrechttuenden und der Verzweiflung, wenn auch der Schmerz den wir fühlen, zuweilen unermesslich ausfallen kann. Ein Schmerz, den Er zuließ, in dem Wissen, dass Er ihn heilen würde. Weiß er denn nicht, was wir fühlen? Erhört Er nicht den Ruf des Rufenden, wenn er Ihn ruft? Wird Er uns nicht auferwecken, wie Er es das erste Mal schon tat und uns in Kenntnis über unser vergangenes Leben setzen?
Wer es merkt, welchen Charakter diese überlieferte Botschaft hat, wird Den erkennen, Der uns besser kennt als wir uns selbst kennen. Denn was außer der Quelle für Frieden und Ausdauer finden wir darin? Und um Kraft daraus zu schöpfen, diese Prüfungen, denen wir begegnen, zu überstehen.
Prüfungen, die ein zentraler Aspekt unserer Existenz sind und die, die Spreu vom Weizen trennen sollen – weil Er alles was wir sehen und uns selbst, nicht sinnlos erschuf. Und die, die sich im Unrecht erheben und anderen unsagbares Leid zufügen, ohne dass es sie kümmert, verkennen diese Tatsache obwohl diesbezüglich bereits genügend Warnungen erfolgt sind.
Und wenn ihnen die Gnade, die sie in ihrer Gier und ihrer Dreistigkeit nicht im Stande waren wahrzunehmen, verwehrt werden wird, und sie sehen, dass alles was sie anderen antaten, sie letztlich nur sich selbst antaten und es heißt: „Koste nun von dem, was du getan hast!“ wird es für sie zu spät sein.
Und man wird sie wissen lassen: Du dachtest, es gäbe niemanden über dir. Und du hast es nicht in Erwägung ziehen wollen, dass da jemand ist, Der dich in dem, was du tust, sieht und hört und Der, Der eigentlich Souveräne ist. Der, Dessen Abweisung du fürchten solltest, weil diese nicht ohne Grund und ohne Sein Wissen über dich erfolgen wird und vor Dessen Anblick der Mensch nichts Übles tun wollen sollte, weil ihnen nur das als Handlung ermöglicht wird, was sie tun wollen.
Wenn der Tag kommt, an dem die Wahrhaftigkeit um Gottes Botschaften, allen deutlich werden wird, wird es für eine nicht geringe Anzahl von Menschen ein übles Erwachen geben, während für andere ihr wahres Leben und die eigentliche Glückseligkeit erst beginnt.
Er wird ihnen kein Unrecht antun.
Sie selbst tun sich hingegen viel Unrecht an, ohne auch nur ein einziges Mal ernsthaft abzuwägen, wieso sie die Luft atmen, die sie umgibt.
Und überschütten wird Er die mit Gnade, von denen Er am besten weiß, was das, was sie taten, wert war. An jenem Tag wird er jene erwählen, die sprechen dürfen. Und er wird sie in Gärten eintreten lassen.
Was also, außer die Gnade meines Herren, macht dieses Leben, in der höchste Freude und bitterstes Leid so nah nebeneinander wohnen, erträglich?
Und was, außer die Gnade meines Herren war es, das uns lehrte und in Kenntnis darüber setzte?
Woran, außer der Deutlichkeit der Botschaft in der Welt erkennt man die Aufrichtigkeit eines Gesandten Gottes?
Eines Gesandten, der mehr als nur einmal sagte: Ich bin doch nur damit beauftragt, die Nachrichten klar und deutlich zu übermitteln, so wie bereits andere vor mir, damit beauftragt worden waren.
Und wer außer die, die es überdenken, die die Zeichen sehen, die Bedeutungen verinnerlichen, an innerer Sicherheit darin erwachen und sich gegenseitig erkennen und klar sehen, was ihnen dadurch zuteil wird, könnten ein wahreres Wort darüber sprechen?
Gepriesen sei Allah.
Herr aller Majestät und Güte
N.J.
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