Der Tag, an dem ich meinen ersten Hate Crime erlebte

Das ganze letzte Jahr bin ich von einer NGO zur nächsten gerannt, habe Gespräche mit Anwältinnen und Polizistinnen geführt, Dokumentationsstellen kontaktiert und mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich anderen und mir selbst dabei helfen kann, einen normalen Alltag zu führen – ohne mich im öffentlichen Raum in ständiger Angst bewegen zu müssen. Nicht in Panik geraten zu müssen, wenn irgendjemand näher an mich herantritt, weil ich fürchte, die Person könnte mich attackieren.

Wie oft haben mir Schwestern davon erzählt, was sie auf der Straße schon alles erlebt haben. Eine Mutter, die mit ihren beiden Kindern in der Straßenbahn sitzt und von einem Mann plötzlich von hinten angegriffen wird, der an ihrem Tuch zerrt und ihren Kopf immer wieder nach hinten reißt, während ihre Kinder schreien und alles mitansehen müssen. Einer Frau, die danach noch wochenlang unter Angststörungen gelitten hat und der man auf der Polizeistation gesagt hat, dass man keine Anzeige erstatten könne, da keine sichtbare Körperverletzung vorliege. Eine Lüge, wie mir der nette Angestellte einer Antidiskriminierungsstelle unter Verweis auf diverse Gesetzesparagrafen versicherte. Da habe ich dann Bekanntschaft mit dem Phänomen „Trägheit von Beamten/Beamtinnen“ gemacht. Das sollte auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Aber das sind ganz andere Abgründe, die einen eigenen Beitrag wert wären.

Was mir heute nach den Berichten um die Ereignisse in Köln in den Sinn kam, war die Erinnerung an eine einzige Sache: Die Angst. Dieses tief stechende Gefühl in der Brust. Wie auf einmal alles beginnt langsamer zu werden und dieser Typ, der dich soeben noch bedroht hat, jetzt tatsächlich näher kommt und alle Alpträume beginnen, wahr zu werden. Ich weiß noch, ich wollte etwas sagen. Angestrengt habe ich versucht etwas taffes zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Haltung, du musst Haltung zeigen, er darf keine Furcht an dir erkennen. Doch da war nichts anderes außer Furcht. Und Abscheu. Denn der vielsagende Ausdruck in den Augen meines Gegenübers war: „Ich kann machen was ich will und du kannst gar nichts dagegen tun.“ Da bot sich gerade so viel Hässlichkeit auf einmal.

Innerlich habe ich Allah angefleht, er möge diese Sache von mir abwenden oder mich tot umfallen lassen. Mein Gott hatte sich für ersteres entschieden.
Denn sein Freund, der zu dem Zeitpunkt zugegen und nicht so feindlich gesinnt war, zog ihn zu sich. Es kam mir so vor, als ob es ihm wie ein Gnadenakt erschien, mich doch in Ruhe zu lassen. Dafür ließ er dann noch ein paar Beschimpfungen los, bis sie sich schließlich entfernten.

Ich hingegen war immer noch wie erstarrt. Und hatte die Angst davor meine Stimme lahmgelegt, hatte sie das offensichtlich auch mit den Beinen geschafft, denn die fühlten sich beim Gehen auf einmal alles andere als robust an.

Ich dachte, ich würde besser darauf vorbereitet sein. Ich hatte ja damit gerechnet. Ich rechne ja jeden einzelnen Tag aufs Neue damit. Diese ganzen Berichte von muslimischen Frauen, die so viel Hass und eine erhöhte Gewaltbereitschaft erfahren, sind ja Realität – meine Realität.

Gewalt an Frauen ist ein allgegenwärtiges Thema. Was jedoch den öffentlichen Raum anbelangt, sind Musliminnen zurzeit auf ganz krasse Weise davon betroffen. Ein Einblick in meine ganz persönliche Statistik: Es ist eine viel zu große Zahl an extrem beängstigenden Berichten, die ich allein aus meinem engen Bekanntenkreis sammeln könnte, die eine Schande für den Status quo sind. Autos, die dich anfahren wollen. Kinderwägen, die fast umgestoßen werden mit den Worten: „Ihr gehört doch alle ins KZ!

Viele von uns versuchen gegen dieses Unrecht anzutreten. Wie erfolgreich wir damit wirklich sind, weiß ich nicht.

Achja, diese Männer (und oft auch Frauen), die uns auf den Straßen gefährlich werden, schaffen das auch ohne, dass sie Muslime sind oder in islamischen Haushältern sozialisiert worden wären. Aber so einfältig, werde ich nicht sein, die Möglichkeit auszusprechen, dass es ihre Religion sein könnte, die sie zu diesen Dingen bewegt.

Nein, das schaffen die sogar ganz alleine.

A.W.

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